Sehr geehrter Herr Malte Conradi,

in dem Artikel "Mehr Brutto, weniger Netto" in der Süddeutschen Zeitung vom 13. April 2012 erläutern Sie,  dass deutsche Arbeitnehmer im Durchschnitt auch 2011 trotz steigender Löhne weniger auf ihr Konto ausbezahlt bekommen.

Die Ursache sehen Sie in den steigenden Abgaben. Einerseits erläutern Sie, dass durch kalte Progression der Steuern die Einkommen Netto sinken. Auch in den Sozialabgaben  sehen Sie eine Ursache für sinkende Einkommen. Diese Aussage wird mit nachfolgender Grafik verstärkt. Sie verschleiern die Zahlen, indem sie beide zusammenfassen.

 

image004

Quelle: Statistisches  Bundesamt  

So entsteht der Eindruck, auch die Sozialabgaben verursachten Lohnkürzungen.            

In dem Artikel wird zwar betont, dass, der Zuwachs bei der Lohnsteuer den größten Teil des Abgabenanstiegs ausmacht und die Sozialkassen von der boomenden Wirtschaft profitieren. Ärgerlich ist aber, dass Sie in der Grafik Steuern und Sozialbeiträge in einen Topf werfen. Auch wenn die Sozialabgaben gesetzlich geregelt sind, handelt es sich um Versicherungen gegen die gravierendsten Lebensrisiken.

Stellt man die einzelnen Sozilabgaben und Steuern als eigenständige Werte dar, sähe die Grafik folgendermaßen aus:

image003

 

Quelle Statistisches Bundesamt und DRV Rentenversicherung in Zahlen 2011

Was in Ihrem Artikel gänzlich außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass die Sozialbeiträge Versicherungsbeiträge sind. Schon unter dem Kanzler Otto von Bismarck hat der Staat die Bürger verpflicht, an diese Sozialversicherungen Beiträge abzuführen, um Risiken des Lebens und des Lebensabends abzusichern. Dabei sind nicht nur die Beiträge zu den Sozialversicherungen vom Staat vorgeschrieben. Ihr Artikel wäre ehrlich in der Darstellung gewesen, hätten Sie nicht nur die Kosten für die Sozialabgaben, sondern auch die Beiträge zu Riester-Rente, Gebäude-Brandversicherung, Kfz-Pflichtversicherung und zu weiteren Pflichtversicherungen hinzugefügt. Alle diese Beiträge müssen vom Einkommen bezahlt werden. Wie groß ist nun der Anteil an Steuern und Sozialversicherung? Die nachfolgende Grafik zeigt, dass die Sozialabgaben seit 1998 nicht mehr erhöht wurden.

Die Steigerung der „Abgaben“ ist also der Progression in der Steuer geschuldet.

Linie

Noch Deutlicher wird die Belastung der Einkommen, wenn die Zahlenreihen nebeneinander dargestellt werden. 

  • Die Summe der Sozialabgaben sind im Trend nicht stark gestiegen
  • die Abgaben der Rentenversicherung sind eher gefallen
  • Die Abgaben für die Krankenversicherung sind ab 2008 stark gestiegen
  • Die Abgaben für die Pflegeversicherung sind 1995 hinzu gekommen
  • Die Abgaben für die Arbeitslosenversicherung wurden 2008 stark gesenkt. Bei der nächsten Konjunkturdelle werden die wieder steigen

Sozialvers_Prozent.GIF

 

Die Kernaussage in Ihrem Artikel gipfelt in der Aussage Zitat:

Die Diskussion darüber, ob die erwirtschafteten Milliarden eher in die Hände der Angestellten, in staatliche Kassen oder in die Sozialversicherungen gehören, wird durch die neuen Zahlen wohl noch zunehmen. Es geht um die Frage, ob der deutsche Wirtschaftsaufschwung mitten in der europäischen Krise in ausreichendem Maße bei den Beschäftigten ankommt. Erst vor wenigen Wochen hatte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Bundesregierung aufgefordert, die Arbeit in Deutschland von Steuern und Abgaben zu entlasten. Sonst könne es mit dem schönen Wirtschaftsboom schnell vorbei sein.

Meine Erfahrungen nach 45 Jahren Berufstätigkeit sind:

  • Auf die Politik ist kein Verlass. Die Politiker entscheiden nach den Einflüsterungen von selbsternannten Fachleuten. Diese Aussage halte ich aufrecht, auch wenn diese Personen besonders qualifiziert erscheinen.
  • Private Vorsorge für das Alter ist richtig. Nur wurden in den letzten 10 bis 15 Jahren die klassischen Versicherungen, wie gesetzliche Rentenversicherung, Lebensversicherungen, Betriebsrenten abgewirtschaftet. Lebensversicherungen erwirtschaften nicht mal mehr die versprochene Grundrendite.
  • Eigenes angespartes Vermögen wurde durch die Kapitalwirtschaft nachhaltig vernichtet. Die Finanzwirtschaft hat Altersicherung und Realwirtschaft ruiniert. Mir nützt es nichts, dass Aktien eine "hohe Rendite" versprechen, wenn diese nur durch Spekulation erwirtschaftet wird. Nach Platzen der nächsten Blase ist diese "Rendite" wieder weg.
    Am Finanzkasino gewinnen nur einige wenige.
  • Zu Guter Letzt: alles was der Mensch nicht selber verwaltet, wird der Verschwendung preisgegeben. Nur, sind die versicherten Personen nicht alle Spezialisten im Finanzsektor. Ohne die Fachkräfte wie Maurer, Installateur, KFZ-Mechaniker, Ingenieur usw. würden alle die Produkte nie die Welt erblicken, mit denen wir heute planen und leben.

Ihre Aussagen zeigen, dass Sie Verfechter der reinen Marktlehre sind. Die Volkswirtschaftslehre sucht nach neuen Antworten. (Siehe Artikel in der Süddeutsche Zeitung, vom Dienstag, den 17. April 2012, „Einfach mal anders denken“)

Eigentlich sollte dies nur ein Lesebrief werden, um aber die Argumente deutlich zu machen, bedurfte es der Verstärkung durch Grafiken

Mit freundlichen Grüßen

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!