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Die große Koalition – die Unionsparteien CDU/CSU und die SPD – ist bestrebt, in dieser Legislaturperiode das E-Health-Gesetz zu verabschieden. Es regelt die elektronische Vernetzung des deutschen Gesundheitssystems. Teil der digitalen Infrastruktur ist die elektronische Gesundheitskarte (eGK), die bereits eingeführt worden ist und auf der künftig alle wichtigen persönlichen Gesundheitsdaten gespeichert werden sollen. Damit ist der gläserne Patient geboren.

Die Tageszeitung „junge Welt“ hat dazu einen kritischen und sehr interessanten Artikel verfasst. Die ADG gibt den Artikel ungekürzt wider.

Sonderdruck:

Erstmals erschienen in der Tageszeitung junge Welt vom 23. Januar 2015,
Autor: Sebastian Watzek, mit freundlicher Genehmigung des Verlags 8. Mai GmbH / Tageszeitung junge Welt

Ziel: Gläserner Patient

Gesundheitsministerium veröffentlicht Entwurf für E-Health-Gesetz.
Es soll Privatunternehmen Geschäfte mit sensiblen Daten ermöglichen.

Seit 1. Januar 2015 gilt die elektronische Gesundheitskarte (eGK) verbindlich für alle gesetzlich Krankenversicherten. Dennoch besitzen rund zwei Millionen von ihnen keine eGK. Viele fürchten, ihre Daten könnten in falsche Hände gelangen. Auch aus der Ärzteschaft gibt es Widerstand. Technische Pannen und ungeklärte Rechtsfragen verzögern das eGK-Projekt mit der »Telematikinfrastruktur« (TI) im Hintergrund seit 2006 zusätzlich.

Damit soll jetzt Schluss sein. Am 13. Januar wurde der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zum »E-Health-Gesetz« bekannt. Er sieht nicht nur die »zügige Einführung nutzbringender Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte« vor. Die Bundesregierung plant ebenso, den Widerstand von Gegnern zu brechen und der Privatwirtschaft Zugang zu Patientendaten zu ermöglichen. Die Telematikinfrastruktur soll demnach »für weitere Anwendungen im Gesundheitswesen und für weitere Leistungserbringer« geöffnet werden. Damit setzen Lobbyisten der IT-Industrie eines ihrer zentralen Anliegen durch. Bleibt dieser Punkt im Gesetz, könnten künftig private Firmen wie Apple mit den Produkten iHealth oder Apple Watch Patientendaten nutzen, um damit Profite zu machen.

Hürden für interessierte Unternehmen gibt es kaum. So muss die Betreibergesellschaft von eGK und TI, die Gematik GmbH, einen neuen Anbieter »auf Antrag« zulassen, wenn er nachweist, dass seine Dienste »funktionsfähig, interoperabel und sicher« sind. Kann er das nicht, sieht das Gesetz Ausnahmen und befristete Genehmigungen für nicht zugelassene Komponenten und Dienste vor. Firmen hätten dem Gesetz nach sogar einen Anspruch auf Zulassung, wenn sie sich vertraglich verpflichten, »die Rahmenbedingungen für Betriebsleistungen der Gesellschaft für Telematik einzuhalten«.

In Zukunft dürfen Unternehmen Teile der TI nutzen, konkrete Anwendungen aber nur außerhalb der Infrastruktur betreiben. Es ist möglich, dass Firmen Patientendaten dann über die TI entschlüsseln und anschließend auf ihre eigenen Computersysteme übertragen. Gleichzeitig wird das Zwei-Schlüssel-Prinzip abgeschafft. Ein Zugriff auf medizinische Daten des jeweiligen Patienten sollte ursprünglich nur in dessen Anwesenheit und mit seiner eGK möglich sein. Jetzt heißt es: »Es besteht Einigkeit bei allen Beteiligten, dass die Telematikinfrastruktur auch für weitere Anwendungen im Gesundheitsbereich ohne Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte genutzt werden soll.« Damit ginge die Kontrolle der Patienten über ihre Krankheitsdaten völlig verloren, was dem anfänglichen Konzept der eGK widerspricht.

Gegner der Karte wie der Chaos Computer Club und die Initiative »Stoppt die e-Card« warnten wiederholt, es lasse sich später nicht mehr kontrollieren, was mit den sensiblen Daten der Patienten geschehe, wenn erst gesetzliche und technische Tatsachen geschaffen seien. Die Kritiker befürchten, dass das Bekanntwerden von Krankengeschichten zur Diskriminierung vieler Patienten führen könnte.

Unterdessen ist sogar der europaweite Handel mit Krankheitsdaten absehbar. Nach dem Willen der Regierung soll die Gematik in Zukunft »Aufgaben auf europäischer Ebene wahrnehmen« und an »grenzüberschreitenden elektronischen Gesundheitsdiensten« mitarbeiten. Um Akzeptanz für laut Gematik eines der »größten und anspruchsvollsten IT-Projekte der Welt« zu schaffen, wurden Versicherte und Ärzte jahrelang falsch informiert. So beteuerten Befürworter bisher immer, die TI habe keinen zentralen Charakter. Aus dem Plan für das neue Gesetz geht jedoch hervor, dass sie »zukünftig die zentrale elektronische Infrastruktur im Gesundheitswesen sein wird«. Mit dem vagen Begriff Telematikinfrastruktur bezeichnet die Betreibergesellschaft ein geplantes Computernetzwerk zwischen Ärzten, Apothekern, Kliniken, Krankenkassen und privaten Betreibern von Rechenzentren, in denen die mit Hilfe des Internets übertragenen Krankheits- und Behandlungsdaten der Patienten gespeichert werden.

Mit dem E-Health-Gesetz baut die Bundesregierung weiteren Druck auf, um den Ausbau des eGK-Projekts und die Erwirtschaftung von Gewinnen schneller zu ermöglichen. Der Entwurf setzt das Motto »Wer blockiert, zahlt« von Gesundheitsminister Hermann Gröhe um, das er in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. Januar 2015 ausgab. Der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der Krankenkassen drohen Kürzungen ihrer Budgets, wenn sie Vorgaben und Fristen zum weiteren Ausbau des Projekts nicht einhalten.

Patienten ohne eGK müssen ebenfalls mit Sanktionen rechnen. Sie konnten bisher auf das Papierersatzverfahren ausweichen, um beim Arzt behandelt zu werden. Um »Verweigerer« dennoch zur eGK zu drängen, kostet der entsprechende Beleg von der Krankenkasse zukünftig jedes Mal fünf Euro.

 

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