Sehr geehrter Herr Professor Werding,
vielen Dank für Ihre Ausführungen zum Schreiben unseres Herrn Gerber.
In Abstimmung innerhalb der ADG nehmen wir dazu wie folgt Stellung. Um Ihre Ausführungen auch unseren Mitgliedern und Freunden zugänglich zu machen, werden wir diesen Schriftverkehr in unserem ADG-Forum und im Internet veröffentlichen.
Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem nicht alle erwerbstätigen Bürger in der gesetzlichen Rentenversicherung (gRV) pflichtversichert sind.
Die gRV in Deutschland ist, so wie sie ist, politisch gestaltet worden und politisch gewollt, ungerecht und Unrecht. Dagegen sind die Regelungen zur Versorgung von Politikern, Beamten und Richtern zwar auch politisch gestaltet worden und politisch gewollt, sie tragen aber eindeutig die Handschrift von Privilegierten für Privilegierte, hier spielen weder demografische Entwicklung noch Finanzierbarkeit eine Rolle.
Was wir kritisieren und bemängeln, sind aber nicht die unterschiedlichen Regelungen, sondern das unterschiedliche Recht, das zur Anwendung kommt. Für die Zwangsmitglieder der gRV sind elementare Grundrechte wie der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) der Eigentumsschutz (Art. 14 GG) und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) außer Kraft gesetzt, bedauerlicherweise mit Zustimmung des BVerfG (u.a. die Entscheidungen vom 01.07.1981 (1 BvR 874/77 u.a) und vom 27.02.2007 (1 BvL 10/00)). Wir halten deshalb die Damen und Herren in Karlsruhe als Begünstigte im System in dieser Frage für befangen. Denn nicht durch Zahlungen des Bundes gegenfinanzierte versicherungsfremde Leistungen sind sozusagen ein Schattenhaushalt, der ausschließlich zu Lasten der Zwangsversicherten geht, und damit eine fiktive steuerliche Entlastung insbesondere für Politiker, höhere Beamte und Richter bedeutet. Laut Bundestagsdrucksache 16/65, S. 331 betragen die jährlichen nicht durch Zahlungen des Bundes gedeckten versicherungsfremden Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung jährlich 65 Milliarden Euro. Das sind mehr als 20 Prozent des regulären Bundeshaushalts, die praktisch als Sondersteuer nur von den Zwangsversicherten zu zahlen sind. Auch für höhere Beamte und Richter sind das also mehr als „Peanuts“, die sie durch Nichtbeteiligung an diesem Schattenhaushalt sparen.
Im Einzelnen ist zu Ihren Ausführungen noch folgendes zu sagen:
Pkt. 1:
Die Umstellung der gRV auf das Umlageverfahren war eine Entscheidung der Politik, die allein dazu diente, die damaligen Verbindlichkeiten des Bundes gegenüber den Rentenversicherungsträgern mit einem Federstrich aus der Welt zu schaffen und zusätzlich auf deren Rückstellungen zugreifen zu können (Bundestagsdrucksache 1659 vom 08.09. 1955, S. 67), mit der Begründung, dass „der Bund aufgrund der Garantie in Art. 120 GG die Leistungsfähigkeit der gRV notfalls durch den Einsatz von Haushaltsmitteln sicher stellt.“ Seit dieser Zeit gibt es das Problem der nicht vollständig gedeckten versicherungsfremden Leistungen und es spricht für sich, dass alle bisherigen Bundesregierungen eine genaue Buchführung über diese „Zwangsanleihen“ verhindert haben.
Wenn Sie eine Anleihe des Bundes zeichnen, werden Sie sicher nicht eines Tages mit Rücksicht auf diejenigen, die dafür später aufkommen müssen, auf die Rückzahlung verzichten. Außerdem kommen angemessene Renten nicht nur den heutigen Rentnern zugute, sie sorgen auch dafür, dass die Rentenansprüche der jüngeren Generation nicht weiter entwertet werden.
Welche Altersrenten gezahlt werden könnten, wenn das System nicht systematisch ausgeplündert würde, zeigen die berufsständischen Versorgungssysteme, die bei vergleichbaren Beiträgen eine etwa doppelt so hohe Altersrente zahlen können, wie die gRV (DRV-Rentenversicherung in Zahlen 2013, S. 71).
Pkt. 2:
Sie halten die erweiterte Abgrenzung bei den versicherungsfremden Leistungen durch die DRV nicht für sachgerecht, wir dagegen schon. In Anbetracht der gesellschaftlichen Veränderungen ist diese geänderte Abgrenzung sehr wohl sachgerecht. Wenn alle Bürger gleichermaßen in die gRV einzahlen würden, würde diese Abgrenzung keine Rolle spielen.
In den 1950-er Jahren ist man sicher nicht davon ausgegangen, dass die Wiedervereinigung noch so lange auf sich warten lassen würde. Selbstverständlich sind die notwendigen Transferleistungen der RV-West an die RV-Ost in der inzwischen stark veränderten Situation versicherungsfremde Leistungen, u.a. weil der damalige Bundesfinanzminister alle volkseigenen Vermögenswerte der ehemaligen DDR versilbert oder über die Treuhand verschleudert hat, und weil der berechtigte Personenkreis wesentlich größer war. Alle ehemaligen Staatsdiener der DDR waren in der gRV pflichtversichert, deren Nachfolger als Beamte aber nicht mehr.
Das sogenannte volkseigene Vermögen der DDR enthielt ja auch die Rückstellungen für die Rentenzahlungen. Die Bürger in den neuen Bundesländern wurden ja erst durch die damalige Bundesregierung endgültig und nachhaltig enteignet. Die Tatsache, dass allein die Zwangsversicherten für die daraus entstandenen Defizite aufkommen müssen, hat zu einer weiteren Absenkung des Versorgungsniveaus geführt, aber nur bei der gRV, nicht bei der Politiker- und nicht bei der Beamtenversorgung. Auch hier gilt: Wenn wir ein Rechtsstaat wären, das heißt gleiches Recht für alle Bürger gelten würde, wäre diese Diskussion hinfällig.
Wenn Sie schon die Grundideen unserer bundesstaatlichen Finanzverfassung und Sozialordnung ansprechen, und damit die Solidarität unserer Gesellschaft, dann fragen wir Sie, wo bleibt denn hier die Solidarität unserer Politiker und Beamten? Das kann ja das Grundgesetz nicht hergeben, dass für alle sozialen Probleme allein die Zwangsversicherten der Sozialsysteme aufkommen müssen, auch wenn das die Bundesregierung zur Zeit wieder „erfolgreich“ praktiziert (u.a. Mütterrenten, KV für Asylbewerber).
Was die Absicherung von Hinterbliebenen anbetrifft, hat sich ja im Rentenrecht (noch) nichts verändert, wenn man von der Verschlechterung bei den Leistungen im Jahr 2002 absieht.
Die erweiterte Abgrenzung bei den versicherungsfremden Leistungen beruht unserer Meinung nach zu Recht auf der Tatsache, dass immer mehr Ehen nicht mehr bis zum Tod eines Partners halten. Wenn der Staat will, dass eine Frau, die in jungen Jahren einen sehr viel älteren Mann heiratet, nach dessen Tod lebenslang von der gRV versorgt wird, dann soll er auch dafür aufkommen.
Pkt. 3:
Die gRV hätte genügend Mittel, wenn die Bundesregierung endlich ihren mit der Einführung des Umlagesystems eingegangenen Verpflichtungen nachkommen würde und elementare Grundrechte auch für Zwangsversicherte der gRV zur Anwendung kämen. Wir haben die groteske Situation, dass diejenigen, die den Wohlstand unserer Gesellschaft erarbeitet haben bzw. erarbeiten, im Alter mit Almosen abgespeist werden, diejenigen aber, die den Wohlstand verwalten und verteilen, sich selbst selbstverständlich auch im Alter großzügig bedenken.
Im übrigen bestärken uns Ihre Ausführungen in unserer Forderung, gleiches Recht für alle Bürger ist nur in einer Erwerbstätigenversicherung zu erreichen, so wie es in allen demokratischen Rechtsstaaten Europas der Fall ist.
Mit freundlichen Grüßen
Otto W. Teufel
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